17.04.2023, FA Andreas König
Die erste Entscheidung datiert bereits vom 11.12.2019 (Aktenzeichen: 5 AZR 505/18). Die zweite Entscheidung ist vom 08.09.2021 (Aktenzeichen: 5 AZR 149/21).
In der ersten Entscheidung geht es um den „einheitlichen Verhinderungsfall“.
Wie bekannt hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung für 6 Wochen von Beginn der Arbeitsunfähigkeit, danach „nur“ noch Anspruch auf Krankengeld von der Krankenkasse.
In der Praxis kommt es häufig vor, dass ein Arbeitnehmer länger als 6 Wochen erkrankt, aber 2 unterschiedliche Diagnosen gestellt werden. Zum Beispiel ist der AN 6 Wochen wegen Rückenbeschwerden krankgeschrieben und nach dem Wochenende ist er 2 Wochen an Corona erkrankt.
Ist in diesem Fall der Arbeitgeber auch über die 6 Wochen hinaus zur Entgeltfortzahlung verpflichtet?
Nach der oben genannten Entscheidung des BAG vom 11.12.2019 ist er das nicht.
Es gilt zwar der Grundsatz, dass bei einer Neuerkrankung auch die Sechs-Wochen-Frist neu zu laufen beginnt.
Eine Ausnahme besteht aber dann, wenn zwischen den beiden Arbeitsunfähigkeiten nur ein kurzer Zeitraum, insbesondere ein arbeitsfreier Tag oder ein arbeitsfreies Wochenende liegen.
Nach der Rechtsprechung bestehen hier Indizien dafür, dass die zweite Erkrankung bereits im Zeitraum der ersten Erkrankung angelegt war und von der Erst-AU überlagert worden ist. Im hiesigen Beispiel wurde Corona also erst Montag durch den Arzt diagnostiziert, der Patient aber schon vorher Symptome hatte und deshalb zum Arzt gegangen ist.
Anders verhält es sich, wenn er nach der Rückenerkrankung am Montag auf Arbeit gehen will und wegen Glatteis stürzt und sich verletzt. In diesem Fall beginnt nach der Rechtsprechung ganz klar ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch, für den im konkreten Beispiel, da Wegeunfall, aber die Berufsgenossenschaft Verletztengeld zu zahlen hat.
Da der Arbeitgeber mit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aber keine Diagnose übermittelt bekommt (Sozialdatenschutz), erfährt er weder, ob der Arbeitnehmer seit Montag an Corona erkrankt ist, einen Unfall hatte oder immer noch Rückenbeschwerden. Der Arbeitgeber wird deshalb auch keine Entgeltfortzahlung leisten, da der Arbeitnehmer zwischenzeitlich nicht arbeitsbereit/arbeitsfähig war (Einheit des Verhinderungsfalls).
Der Arbeitnehmer, der also Entgeltfortzahlung für die weitere Erkrankung verlangt, muss im Streitfalle die Diagnose bekannt geben und auch seinen behandelnden Arzt von der ärztlichen Schweigepflicht entbinden. Tut er dies nicht, kann sich der Arbeitgeber auf den einheitlichen Verhinderungsfall berufen und ist von der Zahlungsverpflichtung frei.
Fazit: Ein Arbeitnehmer muss zwischen zwei unterschiedlichen Erkrankungen entweder arbeiten oder planmäßigen Urlaub haben oder mittels ärztlichen Attests nachweisen können, dass die zweite Erkrankung erstmals nach der Ersterkrankung aufgetreten ist (typisch bei Unfällen).
Um eine ähnliche Problematik geht es in der Entscheidung des BAG vom 08.09.2021, nämlich um den Beweiswert einer AU-Bescheinigung. Diese Bescheinigung attestiert dem Arbeitnehmer, dass er für die vertraglich geschuldete Tätigkeit temporär nicht in der Lage ist und dennoch seinen Lohnanspruch nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz behält. Dies hat in der Vergangenheit leider auch zum Missbrauch geführt, insbesondere wenn Arbeitsverhältnisse beendet wurden oder beantragter Urlaub nicht gewährt wurde.
Mit seiner Entscheidung vom 08.09.2021 hat das BAG neu entschieden, dass der Beweiswert der ärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeit nicht unerschütterlich ist, sondern insbesondere dann seinen Beweiswert verliert, wenn der Zeitraum der festgestellten AU identisch oder nahezu identisch mit der Kündigungsfrist oder dem begehrten Urlaubszeitraum ist. Der Arbeitnehmer kann sich dann nicht allein auf die AU-Bescheinigung berufen, um Entgeltfortzahlungsanspruch zu haben und von der Arbeitsverpflichtung befreit zu sein.
Vielmehr muss der Arbeitnehmer im Streitfalle, wiederum durch Benennung der Diagnose und Entbindung des Arztes von der ärztlichen Schweigepflicht, beweisen, dass er tatsächlich krank war. Der Arzt wird dies in seiner Befragung durch das Gericht natürlich bestätigen, dies ist aber nicht der Punkt, sondern dass vorher der Arbeitnehmer die konkrete Krankheit benennt und den Arzt von seiner Schweigepflicht entbindet. Tut er dies nicht, so verliert der Arbeitnehmer schon aus diesem Grunde den Rechtsstreit. Wenn wegen „Selbstbeurlaubung“ eine Kündigung ausgesprochen wurde, so verliert er sogar seinen Arbeitsplatz.
Fazit: Auch in Zeiten des Fachkräftemangels berufen sich Arbeitgeber immer öfter auf die beiden genannten Entscheidungen. Die Arbeitnehmer sind in den genannten Fallkonstellationen in der Beweispflicht, was fast alle nicht wissen, weil sie doch glauben, dass die AU-Bescheinigung ausreichend wäre.
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